Photo: Christian Hartmann/REUTERS/PIXSELL
ALBERTO CONTADOR
Spanischer König der Berge
Gut, schlecht – El Pistolero
Alberto Contador mochte keine Durchschnittlichkeiten. Entweder er gewann große Radrennen mit Stil oder er verlor herrschaftlich. El Pistolero, wie man ihn während seiner Karriere nannte, da er seine Siege wie ein Revolverheld feierte, war niemals ein Taktiker und konnte die Munition nicht aufsparen. Wenn er die Revolvertrommel geladen hatte, verschoss er die gesamte Munition. So war es auch am Samstag, den 9. September 2017, am vorletzten Tag seiner Karriere. Die Bergaufstrecken werden in schwere Steigungen und Höllenkreise eingeteilt. Zu der zweiten Gruppe gehört Alto de l’Angliru, der aus dem Herzen Asturiens empor wächst. An diesem Samstag zeigte Alberto Contador warum er von Lance Armstrong als einer der begabtesten Typen, die auf ein Fahrrad gestiegen sind, genannt wurde. Die Konkurrenten zerbrachen an dem hohen von ihm vorgegebenen Tempo. Er machte den Eindruck einer gigantischen Anakonda, die ihre Beute würgt. Jede Drehung des Pedals schien eine höhere Botschaft zu beinhalten – „Wenn ich attackiere, seid Ihr Anderen erledigt“. Auf dem letzten Kilometer der mythischen Steigung, wenn die Beinmuskeln wie Teig werden, tief in den Nebelschwaden, versteckte der Spanier seinen Schmerz, seine Qualen und seine Leidenschaft nicht. Mit zusammengebissenen Zähnen beendete er den letzten Walzer seiner Karriere. Wie der einsame apokalyptische Reiter ritt er siegessicher ins Ziel. Alles was er auf dem Fahrrad tat, tat Alberto mit Stil. Am darauf folgenden Tag war die leicht lockere Sonntagsfahrt bis Madrid nur eine Verbeugung zu Ehren einer großen Karriere. Es war eine Karriere mit Kontroversen, aber auch mit größten Siegen. Alberto Contador ist einer von nur sieben Radfahrern in der Geschichte der Radrennen, die bei allen drei mythischen Grand Tours siegten. Drei Kapitalrennen, drei Blockbuster, die drei größten Weltrennen – Giro d’Italia, Tour de France und Vuelta. Anquetil, Gimondi, Merckx, Hinault, Contador, Nibali, Froome – die Glorreichen sieben.
Neben Hinault ist Contador der Einzige in der Geschichte, der die größten Rennen der Welt zwei oder mehrere Male für sich entscheiden konnte. Und danach folgte eine etwas längere dramaturgische Pause. Unabhängig von den Kontroversen, die ihn im Laufe seiner Karriere begleiteten, eines wird bleiben – Alberto Contador war besonders. Wie Senna in der Formel 1 oder wie Maradona im Fußball oder wie Nykänen im Skispringen. Ein Sportler lebt von den Resultaten, aber die Resultate hängen vielleicht auch vom X-Faktor ab…
Der schnellste Revolverheld auf dem Rennrad
El Pistolero kam in die Radrennscene durch seinen Bruder Francesco. Ältere Brüder sind in einer bestimmten Lebensphase Vorbilder…
„Mit dem Radrennfahren habe ich ziemlich spät begonnen. Mein erstes Fahrrad habe ich bekommen als ich 14 Jahre alt war. Eigentlich habe ich das Fahrrad von meinem Bruder geerbt, nachdem ihm die Eltern ein neues gekauft hatten. Eine alte, schwarze, schwere Orbea. Ich habe von meinem Bruder auch eine zu große Fahrradhose und zu große Schuhe bekommen. Das hat mich nicht gestört. In meinem Geburtsort Pinto habe ich mich jeden Tag nach der Schule aufs Fahrrad gesetzt und bin losgefahren. Ich erinnere mich, wie mir meine Freunde zugerufen haben: Hei, Indurain!“. Obwohl in dieser Zeit Big Mig (Indurian, Anm. d. Verf.) mit Volldampf unterwegs war, hatte Contador am Anfang seiner Karriere einen anderen Favoriten – den Piraten von Weltrang auf dem Gebiet des Radrennsportes – Marco Pantani (er hatte den Nicknamen Il Pirata, Anm. d. Verf.).
„Am Anfang meiner Karriere war ich technisch ein schlechter Radfahrer. Aber, sobald die Straße bergauf zu verlaufen begann, sah ich auch den Anfang meines Territoriums. Ich war immer auf Bergetappen gut, hatte aber Schwierigkeiten auf ebenen Strecken. Es hat mir gefallen mit Pantani verglichen zu werden, wegen meiner Fähigkeiten auf Steigungen. Für mich war es völlig natürlich mit aller Kraft in die Pedale zu treten, wenn es bergauf ging.“